Transponieren

Warum Transponieren?

  • Transponieren fördert das Gestalterkennen (ein improvisierter Generalbaß sitzt erst dann, wenn er auch transponiert läuft).
  • Es fördert das absolute Lesen der Schlüssel (vor allem natürlich der ungeliebten C-Schlüssel).
  • Es zwingt Absoluthörer/innen zum Erlernen und Erleben relativer Bezüge.
  • Es gehört zum alltäglichen Handwerkszeug von Chorleitern, Organisten, Continouspielern und Korrepetitoren sowie von Chorleiterinnen, Organistinnen, Continuospielerinnen und Korrepetitorinnen.
  • Schließlich bildet es die unumgängliche Vorstufe zum Lesen der transponierenden Instrumente (wo erschwerend hinzukommt, daß eine C-Stimme beibehalten wird und damit mindestens zwei Tonartebenen gleichzeitig zu erfassen sind).

Der Partiturspielunterricht ist der ideale Ort, um das Transponieren zu erlernen und zu pflegen. Das ceterum censeo des guten Partiturspielunterrichts lautet:

Wer sich unterfordert fühlt, möge die zu arbeitenden Partituren transponieren.

Leider gibt es kein Geheimrezept, mit dem sich der dornenvolle Weg der Erlernens der Transpositionen abkürzen ließe (außer vielleicht: früh damit anfangen). Ich kenne eine einzige ehrliche Methode (5) und vier Mogelmethoden (1-4):

1) Nach Gehör transponieren (nicht empfehlenswert)

Walter Gieseking soll im Klavierunterricht in Saarbrücken einmal eine komplizierte Passage der linken Hand dem Schüler lässig mit rechts vorgespielt haben. Auf die Frage, wie er das mit links einstudierte so schnell mit der rechten Hand darstellen konnte, antwortete er: »Mit ›Hänschen klein‹ können Sie das doch auch, nicht wahr?«.

Beim Transponieren verhält es sich genauso: »Hänschen klein« kann jeder nach Gehör transponieren. Leider ist schon bald nach dem Kinderlied Schluß mit unseren Fähigkeiten. Vor allem ist das Spielen nach Gehör keine praktikable Lernmethode: wenn man es schon kann, lernt man dadurch nichts und wenn man es nicht kann, lernt man es durch Versuch und Irrtum leider auch kaum.

Es soll aber versierte Korrepetitoren geben, die einen beliebigen Notentext (z. B. Klavierauszug) innerlich voraushören und am Klavier in einer andere Tonart synchron nachspielen können. Zweifellos ist das die hohe (höchste!) Schule des Transponierens.

2) Funktionen transponieren (nicht empfehlenswert)

Bei tonaler Musik kann man einen (akkordischen) Satz analysieren und synchron die Funktionen (oder Stufen oder Generalbaßziffern, je nach Ideologie) in eine andere Tonart übersetzen. Der Nutzen dieser Methode ist beschränkt: sie versagt auf jeden Fall bei polyphoner Musik, oft auch bei vor-funktionaler, akkordischer Musik, sicher aber in Idiomen jenseits der Funktionsharmonik.

3) Melodisch transponieren (nicht empfehlenswert)

Diese Methode ist beliebt beim Lesen transponierender Instrumente: man greift die C-Stimmen quasi automatisch und hangelt sich bei der zu transponierenden Stimme melodisch voran (Anfangston + folgende Melodieintervalle). Diese Methode hat zwei Nachteile:
1. Sie versagt, wenn mehrere transponierende Instrumente gleichzeitig zu bedienen sind oder in vielstimmigen Sätzen auch viele Melodieverläufe gleichzeitig erfaßt werden müssen (ganz zu schweigen von den Anschlußfehlern, wenn man sich bei nur einem Intervall irrt).
2. Sie verhindert zuverlässig, daß sich das Transponieren automatisiert.

4) Mit Schlüsseln transponieren (nicht empfehlenswert)

Diese Methode wird leider heute noch gelehrt, in romanischen Ländern geradezu zum System erhoben. Sie ist ebenso zu verwerfen, wie das Erlernen der C-Schlüssel durch Pseudo-Transponieren aus dem Violin- oder Baßschlüssel: Transponsition und Schlüssel sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die jüngeren Schulen (Creuzburg und Fork) sind sich hier einig.

Leider wird in der Praxis zumeist erst der Schlüssel durch Transposition und dann die Transposition durch den Schlüssel erlernt. Wenn man beides sorgfältig trennt, können sich diese Vorgänge jedoch im Unterbewußtsein gegenseitig stützen: die Kenntnis der C-Schlüssel beseitigt die Hemmung, einen Ton auf der 3. Linie anders denn als h‘ oder d zu lesen. Und wer viel transponiert hat, klebt beim Erlernen der C-Schlüssel nicht so sehr an der Kopplung von Tonort im Fünfliniensystem und Taste.

Wer mit Schlüsseln transponiert, vereinfacht sich scheinbar die Angelegenheit, verhindert so neue Lernvorgänge statt sie zu forcieren und bringt sich um die oben skizzierten Vorteile (Schlüssel stützt Transposition und umgekehrt).

5) Töne/Akkorde umrechnen – die Methode der Wahl

Dies ist die schwierigste, ehrlichste und letztlich zielstrebigste Methode: Töne und/oder Akkorde in der notierten Tonart lesen, umrechnen und in der neuen Tonart greifen. Dies geschieht Ton für Ton (ggf. auch Akkord für Akkord). Lesen und transponieren geschieht vertikal, nicht horizontal.

Mit der Zeit geht das Rechnen immer schneller, bis man die Transpositionen kurzschlüssig (ohne bewußtes Nachdenken) realisiert, bis man sie gewissermaßen auswendig beherrscht. Ähnlich haben wir in der Grundschule das kleine und große Einmaleins gelernt. Wer sich auf diese Weise die Transpositionen durch ehrliche Arbeit erworben hat, kann sie auf unbekannte, nicht-homophone und nicht-tonale Notentexte anwenden – was keine der Mogelmethoden ermöglicht. Schließlich erarbeitet man sich so zugleich das Handwerkszeug zum gleichzeitigen Lesen mehrerer unterschiedlich transponierender Orchesterinstrumente, eine der Königsdisziplinen des Partiturspiels schlechthin.

Es ist eine Frage des Typs und Temperaments, ob man Einzeltöne oder Akkordgestalten umrechnet. Wer Akkorde erfassen und transponieren kann, ist bei ineinander verschränkten, homophonen Sätzen (Hornsätzen z. B.) im Vorteil. Andererseits versagt das Akkordlesen bei nicht-tonaler Musik (besser gesagt: bei Musik, die keine fest kanonisierten Gestalten besitzt). In modernen Idiomen kommt man also nicht darum herum, Stimme für Stimme und Ton für Ton umzurechnen.