Die schrecklichsten Fehler in Analysen

…und wie man sie vermeidet.

Wie dekliniert man »Dominante«?

Merke: Dominante dekliniert man wie »Blume«, nämlich so:

Nominativ:    die Dominante
Genitiv:      der Dominante
Dativ:        der Dominante
Akkusativ:    die Dominante

Falsch: »In Takt 14 sehen wir die Dominanten.«
Richtig: »In Takt 14 sehen wir die Dominante.«

Apropos: Taktisch unklug wäre es, sich bei der Betrachtung einer auftaktig anhebenden Phrase das Adjektiv »auftaktisch« auszudenken.

»Nun folgt eine Überleitung…«

Der Begriff Überleitung ist genau dann angemessen, wenn ein Formabschnitt dezidiert die Funktion des Überleitens zeigt. Sonst nicht.

Beispielsweise trifft dies für manche Passagen in Opern zu, wenn die Musik von Szene 1 Zug um Zug in die Charakteristika von Szene 2 übergeführt wird. Viele Beispiele in Opern Richard Wagners lassen sich dazu finden.

Davon abgesehen wird »Überleitung« meistens synonym mit »Ich weiß nicht so recht, was dieser Abschnitt tut, doch ‚Überleitung‘ passt irgendwie immer« verwendet; eine Verlegenheitslösung, die  zeigt, dass der/die Verfassende in der Verwendung von Fachtermini schwächelt und/oder ein wenig denkfaul ist.

In der Sonatenhauptsatzform allerdings – und nur da – ist der Begriff »Überleitung« eingeführt, nämlich für den Abschnitt, welcher zwischen dem ersten Thema und dem zweiten (in der sekundären Tonart stehend) vermittelt und in der Exposition zugleich moduliert. Oft wird dieser Abschnitt zutreffend auch als »Entwicklungsteil« bezeichnet. Und manche fassen ihn noch unter den Oberbegriff des »Hauptsatzes« (zu dem dann auch der in der Tonika stehende Komplex gehört).

Wie auch immer: bei Analysen von Sonaten sollte man »Überleitung« in genau dem genannten Sinne verwenden (und auch dort nicht als Passepartout für alle Verlegenheitsfälle).

»Das Thema endet mit einer Schlussgruppe«

Nicht alles, was schließt, ist eine Schlussgruppe. Der Terminus »Schlussgruppe« ist für den letzten Formteil einer Sonatenexposition (bzw. Reprise) eingeführt. Dieser erfüllt die Funktion des Schließens, entweder durch Mittel der Harmonik bzw. Periodik oder auf thematischer Ebene. »Schlussgruppe« ist jedoch keine Bezeichnung für letzte Takte einer Periode, eines Themas, einer Fuge, eines Menuetts usw. Wer es anders sieht, sollte seine Privatterminologie begründen oder hat sich hinsichtlich der Unkenntnis terminologischer Konventionen blamiert.

»Sex« oder »Sechs« oder wie oder was?

Das große oder kleine Intervall zwischen Quinte und Septime (es kann auch in verminderter oder übermäßiger Form auftreten) heißt nicht Sechste sondern Sexte. Zur Beruhigung für alle, die ein Keuschheitsgelübte abgelegt haben: Es leitet sich von »sextus« ab, keineswegs von »sexus« (wird allerdings oft mit recht sinnlichen Inhalten verbunden – man denke nur an den Beginn von Wagners »Tristan«).

Nur wenn es »Zehntelnoten« gäbe, könnte man von  »sechs Zehntelnoten« sprechen. Auch Sechszehntelnoten existieren (noch?) nicht. Richtig heißt es Sechzehntelnoten, selbst wenn die Rechtschreibprüfung Ihres Schreibprogramms ersteres durchwinkt.

Noch mehr zu Zahlen

Die seit Jahrzehnten von der Spiegel-Redaktion praktizierte Sitte, hinsichtlich der Schreibweise von Zahlen nach dem Dutzend einen Schnitt vorzunehmen, ist durchaus problematisch: Ein Satz »In den Takten elf, zwölf und 13 wird die Tonart vorübergehend verlassen« wirkt grotesk; eine Aussage wie »Die FDP erhielt zwölf, die Grünen 13 Prozent der Wählerstimmen« überfordert das Verständnis vieler Tageszeitungsleser.

Im Kontext von Werkanalysen sollte man einerseits von »Achttaktigkeit« sprechen bzw. schreiben, oder »Nach vier einleitenden Takten folgt…«, andererseits aber »Die Takte 1-4 sowie 7-8 und 12-13 zeigen Varianten der Zwölftonreihe«. Ihrer Romanheldin in den Mund zu legen »In Takt zweihundertsiebenunddreißig habe ich einen Fehler entdeckt« ist guter Stil, jedenfalls von einer Distinguiertheit, die einem Thomas Mann würdig wäre. In einer Facharbeit jedoch schreiben Sie »Takt 237«. Ihre Leser danken es Ihnen vermutlich.

Lange Rede kurzer Sinn: bei Quantifizierungen größerer Einheiten (Takt- oder Seitenzahlen) wird man stets Ziffern verwenden. Handelt es sich um überschaubare Größen bzw. Qualitäten schreibt man die Zahlen aus (»Ein Sonatenhauptsatz mit drei Themen, auf das zweite Thema folge ein weiteres, drittes«).

Stilfragen

Wer fortwährend von »Schlägen« statt Zählzeiten spricht, setzt sich dem Verdacht aus, zu viele gewaltverherrlichende Medienprodukte konsumiert zu haben. Und Sätze wie »In Takt 42 taucht das zweite Thema auf« bewirken beim Leser Befremden. »Auftauchen« können beispielsweise Unterseebote. Themen kehren wieder, werden zitiert, aufgegriffen, verarbeitet und dergleichen mehr.